Warum positiv denken nicht hilft

Mittlerweile feiern wir ja an 365 Tagen im Jahr jedes erdenkliche Ereignis, Konzept oder Awareness-Tag. Ich warte noch auf den Gummibären-sind-auch-nur-Menschen-Awareness Day. Aber das ist ein anderes Thema. Heute ist allerdings wirklich ein Tag, der sich mehrfach zu feiern lohnt (Hoch die Tassen): es ist Frühlingsanfang, Tag-Nacht-Gleiche und Weltglückstag.

Wenn man da nicht aus dem Häuschen gerät, muss man unbedingt seine Lebensziele überprüfen 😉

Mir ist das eben gerade bewusst geworden und ich dachte, ich sollte das Internet mit einem weiteren Beitrag zu diesem außerordentlich beglückenden Ereignis bereichern.

Der Weltglückstag wurde von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen, und soll die Bedeutung von Glück und Wohlergehen für das Leben aller Menschen in den Mittelpunkt rücken. Verständlicherweise nehmen zahlreiche Medien das zum Anlass, die immer gleichen Tipps und Wege zum Glück zu rezitieren. Nicht etwa jedoch für das Glück anderer, sondern für sich selbst. Okay, das kann ich noch so stehen lassen, da ein glücklicher Mensch auch für seine Umwelt angenehmer ist.

Selbst das Manager Magazin widmet sich dem Thema.
Ich bin ja an sich ein totaler Fan von sowas und habe schon alles Erdenkliche probiert, aus Neugier oder Verzweiflung 😉

Womit ich mich schwer tue, ist die schiere Überflutung von allen Seiten mit Hinweisen darauf, wie ich glücklicher werden kann (und soll). Ja, ein wenig fühlt es sich schon an wie ein Imperativ, wenn mir von jedem Frauenzeitschriftencover eine neue Glücksformel entgegenspringt und mir (ziemlich eindringlich) suggeriert, ich müsste da jetzt doch noch ganz schön an mir arbeiten, weil ich um ehrlich zu sein, nicht jeden Tag freudig aus dem Bett springe und den ganzen Tag wie ein glücklicher Teletubbie strahle.

Und ich gebe zu, dass ich mich eventuell selten ungeschickt anstelle bei dem Thema, aber MIR helfen diese platt heruntergebeteten Ratschläge eben oft gar nicht. Viel mehr verstärken sie das Gefühl, mit mir sei etwas nicht in Ordnung, weil diese Tricks und Kniffe bei mir nicht funktionieren. Kennt ihr den Post-it-Trick? Sich selbst Zettel schreiben und überall hinkleben, wie toll ich bin und wie sehr ich mich feiere. Hab ich probiert und es passierte: genau nichts. Ist aber ein gern genommener Ratschlag für mehr „Happiness“.

Zunächst mal sollte man vielleicht hinterfragen, ob man denn überhaupt mehr Glück braucht. Ich habe irgendwann gedacht, es reicht mir jetzt an Selbstoptimierung. MUSS man immer glücklich sein? Irgendwo habe ich gelesen von der 50:50 Regel. Das heißt, es ist völlig normal, dass man die Hälfte der Zeit auch unangenehme Gefühle hat oder eben nicht besonders glücklich ist. Das eine braucht das andere, um existieren zu können. Immer glücklich wäre auch nur eine gerade Linie, wie beim Herzstillstand. So wie unser Puls zum Leben gehört, brauchen wir auch in meinen Augen beides, Glück wie Traurigkeit, um Glück überhaupt als etwas besonders Positives empfinden zu können.

Trotz der vielen Ratschläge und Beiträge landet Deutschland im „World Hapiness Report“ nur auf Platz 17, was bei unserem Wohlstand doch noch ausbaufähig wäre. Ich habe jetzt auf die Schnelle keine Zahlen aus Deutschland gefunden, aber weltweit leiden mittlerweile etwa 350 Millionen Menschen unter einer Depression laut Bundesgesundheitsamt.

Also bringen uns die bunten Cover und Millionen Beiträge im Netz nicht so viel, oder? Ich befürchte fast, sie können für manche auch einfach den Druck erhöhen und das Gefühl verursachen, nicht so ganz adäquat zu fühlen.

Auch andere Dinge fühlen sich schräg an und unecht – so wie beispielsweise sich selbst vor dem Spiegel die großen 3 Worte zu sagen. Es fühlt sich nicht richtig an, weil es für viele oft auch einfach nicht wahr ist. Manche empfehlen dann, die Formulierung zu ändern in „Ich versuche dich zu lieben“ oder „Ich mag dich“ („ein wenig“, „selten, aber nicht nie“) – und tatsächlich kann es passieren, dass es klick macht, wenn man bei der richtigen Stufe des Understatements angelangt ist und dann weiß man zumindest, wo man steht

Es ist in der Psychologie ein gern genommenes Konzept, dass Gedanken die Gefühle steuern oder gar auslösen. Das heißt, man muss nur den Gedanken ändern, und schwupps – glücklich – gaaaanz vereinfacht ausgedrückt. Ja nun. So logisch das klingt, bei mir hat das nie funktioniert. Mittlerweile ist mir auch klar, warum. Es heißt, dass wir nur zu 5 % von unserem Bewusstsein gesteuert werden, und zu 95 % von unserem Unterbewusstsein. Da ist es kein Wunder, dass man keine großen Sprünge erwarten kann, wenn man ein wenig in den 5 %, zu denen wir mit dem Verstand Zugang haben, herumprogrammiert. Der Rest des Schiffes fährt trotzdem munter weiter in die subjektiv nicht unbedingt präferierte Richtung.

Das soll jetzt alles nicht entmutigend klingen. Vielmehr möchte ich dafür werben, sich nicht dem Diktat des positiven Denkens zu sehr zu unterwerfen. Sonst fühlt man sich ja erst recht mies und unnütz. Ich möchte gern jemanden treffen, der es mit diesen einfachen Kniffen wirklich geschafft hat. Die meisten Menschen, die ich kenne, die sich der persönlichen Weiterentwicklung widmen, gehen durch wirklich krasse und nicht wirklich „hygge“-lige Momente der Selbsterkenntnis, und die kenne ich selbst auch. Und ich glaube, das hört auch nie auf, es ist tatsächlich ein Weg, und ich denke, DER ist das Ziel.


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