Wann immer ich bei dem Burger King in meiner Nähe vorbeifahre, gewinne ich den Eindruck, dass wenn einer sicher gar nicht von der Schließung der Gastronomie betroffen ist, dann dieser Burger King. Stapelweise reihen sich die Autos in die Schlange am Drive-in. Sie verstopfen die Zufahrt zur Tankstelle, die Straße und den benachbarten Kreisverkehr.
Es passt so gar nicht zu meiner ansonsten dominierenden Wahrnehmung, dass alle in einem gesund-vegan-bio-Wahn nur noch Porridge und proteinreiche Nahrung zu sich nehmen, während sie mehrmals täglich ihr Fitness-Core-Strength-Workout praktizieren und auch sonst Ausgeburten der Selbstdisziplin sind.
Klar, Instagram ist nicht die Realität. Und vielleicht ist genau das der Beleg dafür, dass bei den Wahnies definitiv auch was falsch läuft.
Dort sehe ich bildhübsche superschlanke Modelmädchen, die sich den ganzen Tag mit ihrer Ernährung und Workout zu beschäftigen scheinen. Nicht nur das. Sie teilen es auch der Welt in real time detailreich, und gnadenlos redundant mit und sind so austauschbar für mich wie Kaffeefilter, wo es auf die Sorte eigentlich nicht ankommt, solange die Größe passt. Sei nicht gemein, sage ich mir. Aber ich möchte doch oft auf die Stories antworten „Super Bowl, die gleiche, die du schon die letzten 15 Tage jeden Morgen gepostet hast. Prima! Inspiration, einfach wow!“ oder
„Klasse, dass du deine Einkaufsliste mit uns teilst, aber was steht da bitte drauf, das uns allen vor Überraschung oder Inspiration die Augen aus dem Kopf fallen lässt? Gurke und Eier? Hab ich gestern auch gekauft. Kaufe ich seit über 20 Jahren. What’s the news?“
Okay, back to the topic. So ganz klar ist mir nicht, was mich daran so aufregt. Und zugleich wundert mich der Ansturm beim Burger King of Hell. Es passt irgendwie alles nicht zusammen.
Im Supermarkt gibt es immer mehr Regale und Verkaufsdisplays mit dem letzten Schrei an Superfood, das ich mir als Lifehack ab sofort überall reinmischen soll. Wird mich das 150 Jahre alt werden lassen? Ich weiß es nicht, habe meine Zweifel. Zugleich suggeriert diese ganze in den Markt hineinströmende Ware aber, wenn ich sie nicht in meinem Essverhalten berücksichtige, werde ich abgehängt, von all den vegan-bio-fit-Menschen, die ihr Porridge lieben und ihre Workouts machen. Sozialer Druck vom feinsten.
Vielleicht geht es auch nur mir so.
Ich hatte durch das Balletttraining eigentlich nie Probleme mit der Figur, ausser in den Phasen, in denen ich es vernachlässigt habe. Solange ich trainierte, spielte es keine Rolle, wieviel Pasta ich abends in mich hineinschlang. Die Bauchmuskeln waren trotzdem dezent definiert. Mit 2-3 Trainingsstunden pro Woche.
Seit ich aufgehört habe und erst recht seit Corona, ist meine körperliche Fitness in einem eher beklagenswerten Zustand. Ich wollte letztes Jahr wieder mit Balletttraining beginnen, an einer neuen Schule, was durch die Lockdowns leider vereitelt wurde.
Ist das vielleicht der Grund, warum diese Fitness-Porridge-Bowl-Mädchen mich so nerven? Weil sie immerhin diszipliniert genug scheinen ihr Workout durchzuziehen. Oder vielleicht machen sie es auch nur, um ihre Stories zu füllen, als eine Art soziale Verpflichtung.
Vielleicht muss ich nur anfangen, die Youtube-Balletteinheiten wieder täglich zu machen, mich dabei filmen und es als Story posten. Also nicht primär Workout-orientiert denken, sondern Content-orientiert. Kein Workout, kein Content. Ich glaube, ich habe gerade entdeckt, wie ich mich motivieren kann zu täglichem Training!
Nichtsdestotrotz stört mich noch etwas anderes: die allumfassende Inhaltslosigkeit von Beiträgen, die aus einem Selfie und einem Begleittext bestehen, der Belanglosigkeiten als Wort zum Sonntag verkleidet.
„Endlich Wochenende. Man muss sich was Gutes tun, Beine hoch und entspannen. Gaaanz wichtig für die Balance!“
Oder
„Wieder eine Woche geschafft. Man muss dankbar sein und sich selbst lieben. Dann ist das Leben schön.“
Mir scheint, es geht nicht um guten Content oder eine wirklich wichtige Botschaft. Es geht darum, den Algorithmus so gut wie möglich zu bedienen, eine Version seiner Selbst zu zeigen, die man gern wäre, um Follower zu gewinnen, um selbst daran glauuben zu können, dass man irgendeine entfernte Relevanz in diesem Universum haben könnte, um irgendwann mal eine Collaboration angeboten zu bekommen, als Mikro-Influencer meinetwegen. Aber ganz ohne einzigartige Botschaft halte ich das für vergebliche Mühe.
Es gibt richtig gute Instagramer, die auch wirklich etwas zu sagen haben und auch nur dann etwas posten, wenn es etwas zu sagen gibt.
Vielleicht bin ich auch einfach zu alt dafür. Ich bin teils froh, dass dieser Hype uns in meiner Jugend verschont hat.
Wobei, zu meiner Zeit gab es Myspace. Es war damals sogar gefühlt erfolgreicher als Facebook und punktete unter anderem damit, dass man mittels Plugins zum Beispiel Songs auf seinem Profil einbinden konnte. Sie wurden dann direkt abgespielt, wenn jemand mein Profil besuchte. Nicht unaufdringlich, aber für mich als Music Lover war das der ultimative Weg zu sagen, wer ich gerade bin und wie ich gerade fühle. Ich habe damals sogar einen Mann kennengelernt, weil er einen großartigen Song auf seinem Profil hatte und mich damit neugierig machte. Aus uns wurde nichts, aber es war damals ganz spannend. An Onlinedating war damals nicht wirklich zu denken. Zum einen war ich als Studentin ohnehin nicht darauf angewiesen, Leute online kennenlernen zu müssen und zum anderen hatte es für mich einen Beigeschmack. Schon damals, vielleicht 15 Jahre her, war Onlinedating nicht gerade mein beliebtester Weg, um einen Partner zu finden. Es hat sich bis heute nicht geändert.
Ich erinnere mich gerade, dass ich damals sogar in einem Hauptseminar zum Thema „Geschlechtersoziologie“ eine Hausarbeit mit empirischem Teil schrieb, in dem ich die Profile von Männern auf der damals beliebten und heute nicht mehr existenten Plattform ilove.de auf Geschlechterrollen hin untersuchte. Ich kann mich selbst nicht mehr ganz daran erinnern, was das Fazit aus der ganzen Sache war. Nur soviel, dass es damals ersichtlich war, dass Männer sehr heterogen dahingehend waren, was sie boten und suchten und es ein Indiz war, dass die Geschlechterrollen aufweichen – no surprise – und zugleich eine große Verunsicherung hinterlassen. Ich weiß noch, dass der Prof unerwartet begeistert war und unbedingt wollte, dass ich weiter an dem Thema arbeite und in seine Sprechstunde komme, um weiteres zu besprechen. Ich habe die Einladung nie wahrgenommen. Soziologie war nur mein Nebenfach und ich glaube, ich hatte Angst vor meiner eigenen Courage. Erfolg haben? War damals noch nicht in meinem Mindset angekommen.
Nun bin ich komplett vom Thema abgeschweift. Aber ich glaube zu verstehen, dass Instagram heute möglicherweise genauso identitätsstiftend wie Myspace damals ist. Nur dass Myspace keinen allzu ausgefeilten Algorithmus hatte, den man bedienen musste, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Es schien manchmal nur ein Haufen Nerds, die nerdiges Zeug auf ihrem Profil posten und anderen Nerds nerdige Kommentare hinterließen. Just for fun. Der Nerd von damals ist das Instagram-Mädchen von heute. Wahrgenommen zu werden, war auch damals schon selbstbestätigend. Nur war es gefühlt damals noch etwas inelligenter.
Ich kann mir vorstellen, dass es auch heute bei den besonders aktiven Instagrammern – und allen anderen social Networkern – letztendlich um Identität geht. Wer will ich sein in dieser Welt und wie will ich wahrgenommen werden? Noch nie zuvor konnten wir durch Filter und ohne jegliche Programmierkenntnisse oder AV-Equipment so viel von uns zeigen in allen Facetten, die uns gefallen. Und die Realität sogar verbessern mit vorgefertigten Filtern und Kameraeinstellungen, die die Augen größer, die Haut glatter und die Lippen voller machen. Aber ist man das dann noch selbst? Mir rollen sich regelmäßig die Fußnägel hoch, wenn ich filterverzerrte Selfies sehe, in denen die eigentliche Person kaum noch zu erkennen ist. Wie eine Trickfilmfigur, komplett entfremdet aber doch noch irgendwie an die Realität erinnernd. Ich fühle mich ziemlich lost im Social Space. Ich weiß nicht, wer ich sein will. Auf jeden Fall keine algorithmusfreundliche blasse Kopie meiner Selbst.
Heute war mir offenbar nach einem Rant. Ich wollte eine Mood Story schreiben über den Januar, eine Momentaufnahme. Jetzt ist eine Social-Media-Kritik daraus geworden. Offenbar will es raus. Also lasse ich es.
Wem geht es ähnlich? Oder gehört jemand zu den aktiven Postern und Storytellern bei Instagram, die teilen möchten, welche Funktion das erfüllt und was es gegebenfalls positives dran zu sehen gibt? Let me know.
Love, Kat
