Es ist schon wieder Mitte Mai, und meinem Vorsatz, wenigstens ein Mal im Monat einen Artikel zu veröffentlichen, komme ich mit größter Mühe nun nach 😉
Im letzten Beitrag hatte ich angekündigt, über den großen Elefanten im Raum, die Bindungsangst, etwas zu schreiben.
Ich muss sagen, sie ist in den letzten Wochen mit viel Input und Reflektion etwas in den Hintergrund gerückt. Habe ich Bindungsangst? Ja, soviel weiß ich. Aber in meinem Fall, ich würde fast sagen, in allen Fällen, ist auch die Bindungsangst „nur“ ein Symptom, und nicht DAS, was behandelt werden muss. Es liegt noch etwas darunter.
Ich muss sagen, vor fünf Jahren wäre ich die letzte gewesen, die sich selbst Bindungsangst attestiert hätte. Im Gegenteil. Seit ich denken kann, war ich in mehr oder weniger festen Beziehungen mit eher kürzeren Unterbrechungen, die längste Singlezeit dauerte gerade einmal zwei Jahre. Meine längste Beziehung sieben Jahre. Da würde man nicht auf die Idee kommen, ein Thema mit Bindungsangst zu haben.
Erstmalig keimte der Verdacht in mir auf, als ich wiederholt nicht verfügbare Männer bzw solche, die sich NICHT binden wollten, in mein Leben ließ, und sehr daran litt, dass sie sich so partout nicht an mich binden wollten. Das erste Mal kann man noch als Griff ins Klo abtun. Beim zweiten Mal sagt einem schon eine leise innere Stimme, das hättest du doch wissen können, und spätestens beim dritten Mal kann man es nicht mehr von der Hand weisen: da stimmt doch etwas nicht.
Ironischerweise war ausgerechnet mein Ex, auch ein Bindungsängstler wie er im Buche steht, das entscheidende Puzzleteil. Es gab einen Moment, ganz am Anfang unseres Kennenlernens, wir waren zusammen in Berlin, und ich weiß noch, wie es mich überrascht und verwirrt hat, wie liebevoll und aufmerksam er war. Ganz entgegen meiner Erwartung. Und meine Reaktion darauf spiegelte sich in reiner Perfektion in einem abwertenden Kommentar, den ich zu einem sehr grünen Hemd abgab, das er mir stolz präsentierte. Manchmal denke ich, ich reflektiere zu viel über mich und alles, aber in diesem Fall war es gut. Es dauerte nur wenige Momente und mir fiel es tatsächlich wie Schuppen von den Augen und ich musste mir eingestehen, dass dieser Moment der Beweis war, dass ich Bindungsangst habe. Die Zuwendung und ruhige gelassene Atmosphäre fühlte sich zu gut an, da musste etwas trennendes her, eine blöde Bemerkung, ideal, um den anderen auf Abstand zu bringen, der mir so plötzlich und überraschend so nah ans Herz kam.
Das Problem mit Bindungsangst, und grundsätzlich mit unbewussten gelernten Mustern, ist, dass man sie nicht fühlt im eigentlichen Sinne. Man kommt ihr nur auf die Schliche, wenn man sich ansieht, was real da ist. Und wenn sich das nicht deckt mit dem, was man sich eigentlich wünscht , ist das ein gutes Indiz. Wenn man sich Bindung wünscht aber über Jahre keine zustande bringt, ist das in der Regel Bindungsangst. Und gerade die Menschen, die meinen dass sie doch Beziehungsfähig sind und sich das wünschen, erkennen das an sich selbst ganz schlecht, weil es so paradox ist. Auch sich immer wieder sehr bindungsambivalente bis -ängstliche Menschen als potenzielle Partner auszusuchen, ist ein Signal in diese Richtung. Die haben natürlich auch Bindungsangst, klar, aber in der Regel leiden Näheflüchter weniger darunter und kommen seltener auf die Idee, dass bei ihnen etwas nicht stimmen könnte 😉
Einen Bindungsängstler in Reinform, also einen Näheflüchter, erkennt man 5 km gegen den Wind. Er selbst hat aber in der Regel kein Bewusstsein darüber dass er unter Bindungsangst leidet, weil sie sich ja nicht direkt als Gefühl wahrnehmen lässt, sondern im Prinzip nur durch sehr genaue Beobachtung und Selbstreflektion. Oder wenn es einem jemand anderes sagt. Es äußert sich ja nicht als Angstgefühl.
Im Gegenteil, es wird sich als alles andere äußern, auch in vermeintlich rationalen Begründungen, dass der andere plötzlich unattraktiv erscheint, oder man nicht mehr erträgt wie jemand kaut. Das System beschützt sich selbst und wird nicht so ohne weiteres seine Mechanismen offenlegen.
Bindungsangst ist etwas ganz altes, das in den meisten Fällen in jungen Jahren schon entsteht, oder wo zumindest der Grundstein gelegt wird. Das Nervensystem bildet sehr früh Schutzstrategien aus, die vor Verletzung schützen sollen, alles auf einer unbewussten Ebene. Mit diesen Schutzstrategien läuft man dann durch die Welt und es kann lange dauern bis man an dem Punkt ist zu merken, dass die eigene Reaktion auf Nähe oder jemanden, der einem sehr nahe kommt, eventuell nicht wirklich adäquat und „erwachsen “ ist. Und wenn man soweit ist, hat man schon den ersten Schritt getan. Zu erkennen, da ist etwas, das würde ich gern anders haben, aber irgendwie stehe ich mir selbst im Weg.
Ich habe natürlich Stefanie Stahl komplett durch und finde ihre beiden Podcasts auch sehr hilfreich, um etwas besser zu reflektieren, was bei einem selbst wohl das Problem sein könnte.
Ich wollte mich ursprünglich mal bei ihr in der Praxis um ein Gespräch bemühen, aber stieß unterwegs sozusagen auf das Thema, was für mich wie das wirklich fehlende Puzzleteil wirkte.
Ich höre schon länger den Podcast von Verena König und habe einiges gelesen und gehört von ihr. Ihr Schwerpunktthema ist Trauma. Auch das war vor einigen Monaten ganz weit weg von mir, ich habe mich da nicht hinzugerechnet, dass ich ein Traumathema haben könnte. Logischerweise, denn mit dem Begriff von Trauma assoziieren wir Krieg, Unfälle, Naturkatastrophen. Und das ist schade und viel zu überladen. Auch das verursacht Trauma, großes Trauma natürlich!
Aber worauf sie eingeht, sind speziell Entwicklungs- und Bindungstrauma. In der Ausrichtung dieses recht jungen Zweiges der Traumatherapie wird als Trauma all das verstanden, was dazu führt, dass das Nervensystem überlastet wird. Das ist höchst individuell, jemand kann größte Not aushalten und keinen Schaden erleiden, andere erleben in vielleicht weniger schlimm anmutenden Situationen eine Traumatisierung, d.h. das Nervensystem erlebt einen Zustand, den es nicht selbst regulieren kann. Das führt zu Trauma, und damit einhergehend Dissoziation. Traumainhalte werden in viele Teile zerstückelt und weggepackt und als Spannungszustand im Nervensystem bzw dem Körper abgespeichert. Zugleich setzt die Aktivierung von Überlebensmechanismen ein, die unterschiedlich aussehen können. Die bekannten sind Kampf, Flucht und Erstarrung. Es gibt in der Psychotraumatologie noch weitere Reaktionen, die möglich sind. Und alle haben das Ziel, letzten Endes das Überleben zu sichern.
Diese Art Traumatisierung geschieht in den meisten Fällen sehr früh, in den ersten drei Jahren, was als Entwicklungstrauma verstanden wird. Das Problem daran ist, dass die bewusste Erinnerung erst mit drei Jahren einsetzt, und falls die Traumatisierung vor dem zweiten Lebensjahr stattfindet, das Erleben „vorsprachlich“ ist, d.h. es gibt keine Worte, in die man das Erleben kleiden kann und keine Erinnerung, die da hochkommen kann. Man erlebt es vielleicht im Erwachsenenalter durch schwere körperliche Symptome, die keine Ursache zu haben scheinen, oder in heftigen Gefühlsreaktionen, denen man sich nicht gewachsen fühlt und die überwältigend und ängstigend sein können, ohne dass man den Finger drauf legen könnte, wo das jetzt herkommt.
Das war jetzt ziemlich weit ausgeholt, um zu erklären, wie ich selbst darauf kam, dass Trauma für mich ein Thema sein könnte. Es ist schwer sich einzugestehen, wenn man immer davon ausging eine einigermaßen unbeschwerte und schöne Kindheit gehabt zu haben ohne allzu große Erschütterungen. Zumindest keine, die erklären würde, dass sich Bindungsangst als Symptom manifestieren könnte. Auf jeden Fall habe ich beschlossen, es zumindest mal mit körperorientierter Traumatherapie zu probieren.
Und auch wenn das alles nicht so ermutigend klingt wie „hey, ich habe hier 3 Schritte wie du deine Bindungsangst erkennen und auflösen kannst“, bin ich mittlerweile an dem Punkt, dass ich denke, jeder Mensch mit einem Bindungsthema hat auch ein Traumathema. Denn Bindungsangst oder die Verhaltensmuster, die damit einhergehen, sind klassische Schutzstrategien, wie sie ein Trauma hervorbringen würde.
Deshalb meine Empfehlung sich den Podcast von Verena König mal anzuhören oder ihre Website zu besuchen.
Es gibt natürlich noch tausend andere Quellen. Peter A. Levine ist der Begründer von Somatic Experiencing, einer körperorientierten Methode zur Reintegration von Trauma, und hat einige Bücher geschrieben, die als Einstieg empfehlenswert sind.
Ich will eigentlich gar nicht mehr über Bindungsangst schreiben, weil sie, wie beschrieben, am Ende auch nur ein Symptom ist und die Ursache etwas anderes. Dann doch lieber an der Wurzel ansetzen und das aufräumen, was einem noch im Weg steht, um ein Leben in innerer Freiheit zu führen.
Und dafür ist es nie zu spät!
Love, Kat
